Basis gelegt für ein neues Leben: „Berufsorientierung für Flüchtlinge“


Kurs in Corona-Zeit: Zwölf Frauen und Männer erhielten ein Zertifikat, dass sie die praxisnahe Berufsorientierung für Flüchtlinge erfolgreich absolviert haben. Rechts stehend: Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Hubert Lorenz.
© Kanngieser, Susanne

Angst vor großen Tieren hatte Agnes Jochemczyk noch nie. Aber dass dies auch einmal zum Broterwerb taugen könnte, das hat die 33-jährige Frau aus Polen nicht für möglich gehalten.

Nach dem Kurs „Berufsorientierung für Flüchtlinge“ weiß sie es besser. Denn durch die sechsmonatige Maßnahme hat sie eine Einstiegsqualifizierung als Pferdepflegerin bekommen.

Doch zunächst erhielt sie jetzt wie elf andere Teilnehmer ein Zeugnis im Gebäude der Kreishandwerkerschaft in Bebra, dass sie die praxisnahe „Berufsorientierung für Flüchtlinge“ erfolgreich absolviert hat.

Ein halbes Jahr begleitete die Kreishandwerkerschaft mit ihren Bildungszentren Lehrbaustelle Bebra und Berufsbildungszentrum Metall in Bad Hersfeld die Flüchtlinge aus Eritrea, Kurdistan, Polen, Afghanistan, Iran, Irak und Äthiopien. Auf dem Stundenplan standen Fächer wie Sprachunterricht, Mathematik, Politik und Gesellschaft. „Wir haben uns individuell auf die Menschen eingestellt und die Anforderungen ihren Bedürfnissen angepasst“, sagte Doris Denkers, verantwortlich für Flüchtlingsprojekte bei der Kreishandwerkerschaft Hersfeld-Rotenburg.

Ein zentraler Bestandteil der Maßnahme waren Praktika in verschiedenen Berufen, damit die Frauen und Männer zwischen 17 und 35 Jahren die Möglichkeit bekamen, ihre Fühler nach einem Ausbildungsplatz auszustrecken.

Als „wahnsinnig ereignisreiches Semester“ bezeichnete Geschäftsführer Hubert Lorenz die vergangenen sechs Monate unter schwierigen Corona-Bedingungen. Zwei Wochen nach Beginn habe man die Teilnehmer wieder nach Hause schicken und eine alternative Betreuung mit regelmäßigen Aufgaben organisieren müssen. Die Willkommenslotsen Michael Wittich und Rakan Kirakosian hätten ebenso wie Doris Denkers hervorragende Arbeit geleistet. Auch nach der Maßnahme können sich die Teilnehmer bei Problemen oder Fragen an die Kontaktpersonen bei der Kreishandwerkerschaft wenden, forderte der Geschäftsführer die Absolventen auf.

„Es war ein gelungener Kurs mit einer motivierten, homogenen Gruppe – trotz dieser Corona-Stolpersteine“, resümierte Doris Denkers. Man habe Rücksicht aufeinander genommen, Freundschaften seien entstanden und Kontakte geknüpft worden. Sie sieht auch künftig großen Bedarf nach entsprechenden beruflichen Maßnahmen für Flüchtlinge.

Für Agnes Jochemczyk waren die vergangenen sechs Monate das Beste, was ihr in beruflicher Hinsicht passieren konnte. „Es ging nicht nur um Leistung, sondern auch um das, was man persönlich gerne macht“, erzählte die Mutter dreier Kinder. Außerdem habe Doris Denkers ihr im privaten Bereich mit Rat und Tat zur Seite gestanden, zum Beispiel beim Umzug von Bad Hersfeld nach Bebra. Optimistisch blickt sie jetzt in die Zukunft und überlegt zaghaft, ob sie irgendwann einmal den Weg zur Ausbildung als Pferdewirtin wagen soll.

Grund zur Freude hat ebenfalls Amin Osman. Der 27-jährige Mann, der 2013 aus Somalia kam, hat seine Ausbildung bei der Firma Tiefbau-Stutz in Kirchheim bereits begonnen. Für ihn war besonders der Sprachunterricht wichtig, damit er künftig seine Kollegen besser verstehen und sich unterhalten kann.

Hintergrund: Intensive Einblicke in Ausbildungsberufe

Mit der „Berufsorientierung für Flüchtlinge - BOF“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) erhalten Geflüchtete Einblicke in Ausbildungsberufe des Handwerks. Eine intensive, bis zu 26-wöchige, Berufsorientierung eröffnet ihnen Wege in eine Ausbildung. Während der Maßnahme lernen sie Fachsprache und Kenntnisse für den angestrebten Ausbildungsberuf und werden von Projektbegleitern individuell unterstützt. Die BOF-Maßnahme findet in Lehrwerkstätten und Betrieben statt. BOF ist Teil der gemeinsamen Qualifizierungsinitiative „Wege in Ausbildung für Flüchtlinge“ des BMBF, der Bundesagentur für Arbeit (BA) und des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH). Möglichst viele junge Geflüchtete sollen durch Sprachvermittlung, Berufsorientierung und -vorbereitung an das duale Ausbildungssystem herangeführt werden und so eine Chance auf eine Ausbildung im Handwerk erhalten.

Grund zur Freude: Für Agnes Jochemczyk und Amin Osman hat sich die Maßnahme Berufsorientierung für Flüchtlinge schon gelohnt. Für sie steht eine Eingliederungsqualifizierung auf einem Pferdehof an. Er hat mit seiner Ausbildung in Kirchheim bereits begonnen. Doris Denkers (Mitte), zuständig für Flüchtlingsprojekte in der Kreishandwerkerschaft, drückt die Daumen für die Zukunft.
© Kanngieser, Susanne

Quelle: Hersfelder Zeitung
Fotos: © Kanngieser, Susanne